Kriegsverbrechen in Nordostsyrien: Türkei bombardiert zivile Infrastruktur

Seit dem 4. Oktober 2023 bombardiert das NATO-Mitglied Türkei zivile Infrastruktur auf dem Gebiet der „Autonomen Selbstverwaltung Nord-und Ostsyrien“ (AANES). Die Angriffe gegen Ölförderanlagen, Elektrizitätswerke, Staudämme etc. kündigte der  türkische Verteidigungsminister Hakan Fidan wie folgt im türkischen Fernsehen an:
„Die gesamte Infrastruktur und Elektrizitätswerke der PKK [Arbeiterpartei Kurdistans] und YPG [Volksverteidigungseinheiten der AANES] im Irak und Syrien sind von nun an legitime Ziele unseres Militärs und des Geheimdienstes.“
Weder die Tatsache, dass Angriffe auf zivile Infrastruktur nach internationalem Recht Kriegsverbrechen darstellen und nicht zu rechtfertigen sind, noch, dass die AANES/YPG und die PKK unabhängige Organisationen sind, scheint die Regierung Erdoğan aufzuhalten.

Die völkerrechtswidrigen Angriffe haben Stand Montag, 09.10., mindestens 47 Menschenleben gefordert, darunter viele Zivilisten. Auch Kinder sind unter den Opfern. Durch Angriffe auf die größte Gasgewinnungsanlage der Region und auf Elektrizitätswerke sind mehrere Millionen Menschen von Gas zum Kochen und von der Stromversorgung abgeschnitten – auch Krankenhäuser können derzeit nicht arbeiten. In einigen Gebieten ist durch den Stromausfall die Wasserversorgung zusammengebrochen. Die türkische Luftwaffe fliegt ebenfalls Angriffe auf Krankenhäuser und Weizensilos. In der Stadt Dêrik wurde ein Krankenhaus vollständig zerstört. Auch das Geflüchteten-Camp Mexmûr (Südkurdistan/Irak) wurde erneut von Kampfdrohnen bombardiert. Ziel des Angriffs war eine Moschee.
Die Angriffe gehen derzeit ungebrochen weiter und vernichten die Lebensgrundlage von Millionen Menschen. Sollten die internationale Staatengemeinschaft weiter zu den völkerrechtswidrigen Angriffen der Türkei schweigen, ist davon auszugehen, dass die Angriffe fortgesetzt werden. Das wird zu einer bisher nicht dagewesenen Destabilisierung der Region führen. Die Folge wären gewaltige Flüchtlingsströme und ethnische Säuberungen, wie sie bereits in anderen von der Türkei besetzten Gebieten Nordsyriens stattgefunden haben. Es liegt in der Verantwortung der Bündnispartner der Türkei – unter anderem Deutschland – gegen die türkischen Kriegsverbrechen vorzugehen.
Die angegriffenen Gebiete sind Teil der „Autonomen  Selbstverwaltung Nord- und Ostsyriens“ (AANES), auch bekannt als Rojava. Die AANES ist ein basisdemokratisches Gesellschaftssystem, das sich im Zuge des syrischen Bürgerkrieges gebildet hat und vor allem durch den Sieg über den IS internationale Aufmerksamkeit erlangt. Da die Grundprinzipien der AANES von Frauenbefreiung, Ökologie und Basisdemokratie auf den in der Türkei inhaftierten kurdischen Philosophen und Revolutionär Abdullah Öcalan zurückgehen, bezeichnet der türkische Staat alle (auch zivilen) Vertreter*innen der Selbstverwaltung als Terroristen.
Die Türkei versucht ihre Kriegsverbrechen gegen die AANES mit dem Recht auf Selbstverteidigung und „Rache“ für einen Angriff der PKK-Guerilla in Ankara zu begründen – eine völkerrechtlich unhaltbare Position, da das Recht auf Selbstverteidigung keine Angriffe auf Zivilist:innen und zivile Infrastruktur begründen kann.
Am Wochenende hatten zwei Kämpfer der
HPG [Volksverteidigungskräfte der PKK] einen Angriff auf die „Generaldirektion Sicherheit“ des türkischen Innenministeriums durchgeführt. Die türkische Führung behauptet, die beteiligten Kämpfer seien in Syrien ausgebildet worden und von dort aus illegal in die Türkei gelangt. Sowohl die AANES als auch die PKK-Guerilla wiesen diese Darstellung als „Lüge“ und konstruierten Kriegsvorwand zurück.
Die Weltgemeinschaft schweigt bisher zu den Angriffen der Türkei, die bereits in den letzten Jahren mehrfach ungestraft das Völkerrecht gebrochen hat – unter anderem durch Attentate auf Politiker*innen, den Einsatz verbotener chemischer Waffen und durch ethnische Säuberungen in besetzten Gebieten. Als Reaktion auf die Angriffe kam es bereit am Freitag, den 06.10, und Samstag, den 07.10, in ganz Deutschland zu Demonstrationen gegen die Kriegsverbrechen. An die Bundesregierung richteten die Demonstrierenden die Forderung, dem NATO-Partner Türkei die Unterstützung zu entziehen, solange die Angriffe nicht dauerhaft beendet weden.
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