Am 4. April kam es in Braunschweig zu einem weiteren von Dutzenden Prozessen gegen Antifaschist*innen, die sich verschiedenen AfD-Parteitagen in der Braunschweiger Milleniumhalle entgegenstellten. Die Prozesse sind Bestandteil der gezielten Einschüchterung und Kriminalisierung durch die Braunschweiger Staatsanwaltschaft. Die Welle von martialischen und gewalttätigen Durchsuchungen wegen eines vermeintlichen Angriffs auf Nazis, die nichtmal Verletzungen angeben konnten, sind ebenso in desem Zusammenhang zu sehen.
Bisher stattgefundene Prozesse, endeten mit Freisprüchen, Einstellungen aber auch Verurteilungen. Die Prozesstermine selbst werden nicht selten kurzfristig oder sogar erst am Tag selber ohne Begründung aufgehoben, verschoben, neu angesetzt, usw. Nur selten hat bisher ein Prozess auch tatsächlich an dem zuvor geladenen Termin stattgefunden. Dies ist ebenso als Teil einer Zermürbungsstrategie der Klassenjustiz zu werten, die sich hierüber u.a. ein Ausbrennen der sich regelmäßig einfindenden Unterstützer*innen der Angeklagten erhofft- bisher erfolglos!
In dem nun zuletzt stattgefundenen Prozess deutete die Richterin an, dass man mittels Befragungen in der Nachbarschaft der Angeklagten rumschüffeln wolle, um an diverse Angaben zu kommen, die die Angeklagten zuvor verweigerten. Diese Kreativität und Entschlossenheit, um an Informationen gegen die Angeklagten zu kommen unterstreichen den Verfolgungswillen der Klassenjustiz gegen antifaschistische Strukturen. Wer also demnächst die Polizei, ob nun mit oder ohne Uniform, vor der Haustür findet, weiß, was er*sie zu tun hat: das Gleiche wie sonst auch. Nämlich schweigen, stehen lassen und die Tür wieder schließen. Auch unabhängig von der politischen Verfolgung von Freund*innen, Nachbar*innen und Kolleg*innen gibt es nichts, was durch die Kooperation mit der Polizei besser gemacht werden würde.
Die Kriminalisierung antifaschistischer Strukturen, Aktionsformen und Personen in Braunschweig muss im Zusammenhang mit zahlreichen laufenden Prozessen in der BRD sowie in Europa gesehen werden, die auch nicht allein auf Antifaschist*innen abzielen, sondern auf jeden fortschrittlichen und humanistischen Widerstand gegen die herrschenden Verhältnisse.
Hier zu sind u.a. das laufende „Antifa-Ost-Verfahren“ gegen Antifaschist*innen in Sachsen, die erst vor kurzem stattgefundenen Durchsuchungen oder zuvor gefällten Urteile zu mehrjährigen Haftstrafen gegen Antifaschist*innen in Stuttgart oder das überzogene Urteil gegen Ella als politisches Urteil gegen eine konsequente Klimabewegung. Gegen Blockierer*innen des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) laufen bzw. liefen ebenso zahlreiche Prozesse wegen einer Blockadeaktion gegen den Export deutscher Rüstungsgüter an autoritäre Staaten, allen voran der Türkei. Auch Blockierer*innen gegen den antifeministischen „Marsch für das Leben“ von christlich-fundamentalistischen und faschistischen Abtreibungsgegner*innen in Berlin sahen sich zahlreichen Prozessen eben wegen ihrer Blockadeaktionen ausgesetzt.
Auch die Kriminalisierung der kurdischen Befreiungsbewegung und ihrer Unterstützer*innen ist in diesem Zusammenhang zu sehen. Denn auch unter der vielbeschworenen „wertebasierten“ oder auch „feministischen“ Außenpolitik einer Annalena Baerbock findet die Kollaboration mit dem faschistischen AKP-MHP-Regime unter Erdogan in der Türkei kein Ende, sondern wird im Gegentil verstärkt und ausgebaut und kann nahezu im Wochentakt eine Widerwärtigkeit nach der anderen vorweisen. So wurde der Anmelder einer Demonstration gegen das PKK-Verbot mit einem Ausreiseverbot belegt und musste seinen Pass abgeben. Eine spanische Staatsbürgerin wurde wegen ihrer Kurdistansolidarität aus der BRD ausgewiesen und mit einem 20-jährigen Einreise- bzw. Aufenthaltsverbot belegt. Dazu kommen fortwährende Abschiebungen von Kurd*innen in den Folterstaat Türkei. Zuletzt traf es Muhammed Tunç, der am 7. April abgeschoben wurde.
Ob nun antifaschistische, feministische, ökologische, internationalistische, antimilitaristische, antikoloniale und antiimperialistische Kämpfe:
Gerade in diesen Zeiten eskalierender Konflikte und Kriege auf allen Ebenen dieser zerstörerischen Ordnung wollen wir uns bewusst machen, dass die gegen uns gerichtete Kriminalisierung durch eben diese Ordnung, die wir aufheben wollen und müssen, ein Zeichen dafür ist, dass wir auf dem richtigen Weg sind.
Oder auch mit den Worten Mao-Tse-Tungs gesprochen:
„Wenn wir vom Feind bekämpft werden, dann ist das gut; denn es ist ein Beweis, dass wir zwischen uns und dem Feind einen klaren Trennungsstrich gezogen haben. Wenn uns der Feind energisch entgegentritt, uns in den schwärzesten Farben malt und gar nichts bei uns gelten lässt, dann ist das noch besser; denn es zeugt davon, dass wir nicht nur zwischen uns und dem Feind eine klare Trennungslinie gezogen haben, sondern dass unsere Arbeit auch glänzende Erfolge gezeitigt hat.“
Konkret heißt das, dass von den Protesten gegen die AfD-Parteitage sowie andere faschistische Umtriebe, über das Setzen der Klimakrise durch Proteste auf die politische Agenda, das Selbstbewusstsein feministischer Proteste und ihrer gesellschaftlichen Breite und Verankerung bis zu dem bewaffnet geführten Kampf um basisdemokratische Selbstverwaltung in Kurdistan und darüber hinaus gegen den NATO-Staat Türkei eine Gefahr für das zerstörerische System ausgehen, die von den Profiteur*innen, Verwalter*innen, Durchsetzer*innen und Knechten auch so erkannt wird.
Für uns kann das daher nur heißen: weitermachen!
Beitrag der Prozeßbegleitung vom 4. April 2022 (zuerst erschienen auf der Homepage des Antifaschistischen Cafés):
„In den Verfahren rund um den AfD Parteitag vom 12.09.2020 hätte am Montag, den 04.04. ein weiterer Prozess stattfinden sollen, der nun auf Oktober vertagt wurde. Die konsequente Aussageverweigerung und das Nicht-Nennen von freiwilligen Angaben gegenüber dem Gericht, wie u.a. das aktuelle Einkommen oder das derzeitige Arbeitsverhältnis, haben dafür gesorgt, dass der Prozess der beschuldigten Genossen nur etwa 10 Minuten anhielt.
Die kurzen 10 Minuten vor Gericht stellten sich sehr chaotisch dar. Selbst die Namen und Adressen der Beschuldigten stellten ein kleines Problem für die Richterin dar. Völlig unvorbereitet unterstellte sie beiden Beschuldigten Vorstrafen, um am Ende genervt die Gegenseite dafür verantwortlich zu machen, dass der Prozess nicht geführt werden könne.
Die Richterin behauptete, sie sehe keinen Sinn darin, die Verhandlung aufzunehmen, solange die Angaben zu Arbeitsverhältnis und Einkommen fehlten und forderte die Staatanwaltschaft auf, Ermittlungen einzuleiten. Sie empörte sich ungehemmt und ausufernd darüber, dass man ihr Angaben vorenthalte (die niemand vor Gericht machen muss!). Ob es nun wirklich daran lag, dass es am Montag nicht zum Prozess kam oder doch eher damit zu tun hatte, dass der Hauptbullenzeuge fehlte, lässt sich nur spekulieren. Standard ist es unserer Erfahrung nach, dass das Einkommen im Falle einer Geldstrafe ganz einfach geschätzt wird. Stattdessen lies sich die Richterin einen Einschüchterungsversuch nicht nehmen, indem sie mehrfach ankündigte, die Nachbar*innen der Beschuldigten zu deren Einkommensverhältnissen befragen zu lassen. Falls sie geglaubt haben sollte, dass ihr Verhalten dazu führen würde, die Anwälte und die Beschuldigten von einer Rote Hilfe Prozessführung abweichen zu lassen, trug ihr unstrukturiertes gereiztes Auftreten nur zur allgemeinen Belustigung bei.
Auch zu diesem Prozesstermin hatten sich wieder mehrere solidarische Genoss*innen morgens zusammengefunden, um die Beschuldigten im Gerichtssaal zu begleiten und vor dem Gericht im Rahmen einer Kundgebung mit Redebeiträgen Öffentlichkeit gegen die Klassenjustiz zu schaffen.
Um ihren Dank an die sich solidarisch zeigenden Genoss*innen vor dem Gericht zu zeigen, hatten die beiden Beschuldigten ein Grußwort aus dem Gericht als Redebeitrag eingesprochen. Da dieses auf Grund der kurzen Dauer des Prozesstermines nicht abgespielt werden konnte, geben wir dieses im weiteren wieder:
„Hallo liebe Antifaschist*innen,
Wir als Beschuldigte grüßen euch heute aus dem Gerichtssaal.
Wieder gilt es einen Angriff der Bourgeoisie auf alle, die sich für eine Welt ohne Faschismus einsetzen, gemeinsam und solidarisch abzuwehren. Denn wir sitzen hier auf der Anklagebank , weil wir es nicht kommentarlos hinnehmen können, das faschistische Ideologien seit Jahrzehnten immer weiter in die Mitte der Gesellschaft vordringen.
Das die Bullen allen nur erdenklichen Nazis bei jeder sich bietenden Gelegenheit, als willige Kirmesboxer zur Seite springen, überrascht uns in Braunschweig schon lange nicht mehr. Auch das sie ihr menschenfeindliches Handeln hinterher noch durch Anzeigen gegen Antifaschist*innen zu rechtfertigen versuchen und dabei von Staat und Justiz als sogenannte „Säule des Sicherheitsapparates“ hofiert wird werden, ist für uns mittlerweile bitterer Alltag.
Und so versuchen Sie auch diesmal, vollkommen legitimen Protest zu kriminalisieren und angebliche Angriffe mit Holzlatten herbei zu lügen. Dabei kann sich jede einzelne, die schonmal in Braunschweig auf der Straße war vorstellen, was wohl die Reaktion der Schweine auf solch einen Angriff wäre.
Bei den uns vorgeworfenen Straftaten, sollen wir angeblich versucht haben, organisiert mit über 40 Antifaschist*innen auf die Landesparteitag-Anreisestrecke der AfD am 12.09.2020 zu gelangen.
Hierbei wurden fünf Genoss*innen an dem Tag von Bullen verletzt, festgenommen und für mehrere Stunden in Zellen gesteckt. Bullen wurden an diesem Tag wiedereinmal, maximal durch ihr eigenes Pfefferspray verletzt. Aber auch das kann den Demonstrant*innen natürlich vorgeworfen werden. Denn wie in den bereits geführten Prozessen zu der Sache, vom Gericht immer wieder betont wurde, waren die armen „Einsatzkräfte“ angeblich durch das aggressive Auftreten der Demonstrant*innen so sehr eingeschüchtert und im Anschluss traumatisiert.
Wir erinnern nur noch einmal, dass der 12.09.2020 der Tag war, an dem Videos überregional Aufmerksamkeit gefunden haben, auf denen zu sehen war, wie an anderer Stelle an diesem Tag, Bullen mit mehreren „Einsatzhunden“ und viel Einsatz von Pfefferspray, eine Gruppe von scheinbar Jugendlichen von der Straße jagten. Dass hierbei niemand ernsthaft verletzt wurde, ist wiedereinmal nur ein Zufall.
Abseits der allzeit verwendeten Repressionskeulen „Landfriedensbruch und Widerstand“, kann uns und den weiteren Beschuldigten keine individuelle Tat nachgewiesen werden und daher soll wie in letzter Zeit immer wieder versucht, allein die Tatsache, dass wir vor Ort festgenommen wurden ausreichen, um uns weitere Straftaten wie schwere Körperverletzung und tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte vorzuwerfen.
Wir lassen uns von alldem nicht unterkriegen, bauen auf Solidarität und Gemeinschaft statt Angst und Vereinzelung.
In den vergangenen Monaten und allein in den vergangenen Wochen dieses Jahres, mussten schon eine Vielzahl von Prozessen geführt und solidarisch unterstützt werden.
Als Betroffene der Repression und Beschuldigte wollen wir euch sagen, wie viel Kraft es gibt, dass ihr mit uns hier seid.
Den spührbaren Rückhalt und die gezeigte Solidarität, welche ihr heute auf die Straße tragt und uns entgegenbringt, ist stärker als jeder Einschüchterungsversuch der Bullen und Gerichte.
Wir wissen wir sind nicht alleine, nicht heute vor Gericht und nicht im Glauben an die Sache. Dem Kampf gegen den Faschismus.
Mit euch an unserer Seite und der Roten Hilfe hinter uns sehen wir den nächsten Protesten und Aktionen entgegen, werden uns mit euch organisieren und weiter Kämpfen.
Danke das ihr heute hier seid, denn dank euch ist wiedereinmal niemand alleine.
Auch wir werden diesen Prozess politisch führen und im Kampf gegen die Repression, wie die Beschuldigten vor uns in der Sache, konsequent die Aussage verweigern. Wir werden keine anderen Genoss*innen belasten, wir werden nichts gestehen, keine Reue bekunden oder Eingeständnisse von uns geben. Aber vor allem werden wir uns sicher nicht, von den uns vorgeworfenenen angeblichen Taten distanzieren!
Kampf der Klassenjustiz und ihrer Repression.
Alle zusammen gegen den Faschismus!“